Tagungsbeitrag

Scholl, Christian:

Restauration und Eschatologie: die Erneuerung der Hildesheimer Godehardikirche im 19. Jahrhundert

Bis heute wird die Hildesheimer Godehardikirche maßgeblich von der Restaurierung des 19. Jahrhunderts geprägt, die zwischen 1848 und 1863 umgesetzt wurde. Diese führte nicht nur zur Sicherung des vom Verfall bedrohten Gebäudes und zu dessen Anpassung an die neue Funktion als katholischer Pfarrkirche, sondern auch zu einer überaus ambitionierten, künstlerisch wie inhaltlich programmatischen Neuausmalung und Neuausstattung. In enger Zusammenarbeit von Conrad Wilhelm Hase, Michael Welter und Friedrich Küsthardt wurde hier ein sorgsam aufeinander abgestimmtes Ensemble aus Architektur, Malerei und Ausstattungskunst geschaffen, das den Begriff „Restauration“ ernst nahm: Durch die gewissermaßen lückenlose Neuausgestaltung sollten religiöse, künstlerische und bauhandwerkliche Werte, die man dem Mittelalter zusprach, für Gegenwart und Zukunft wiederhergestellt werden.
Der Vortrag thematisiert den Zusammenhang von baulicher Sicherung und historistischer Neuausdeutung im Zusammenspiel von Kunst, Handwerk und Ikonographie.
Von besonderem Interesse ist dabei die eschatologische Ausrichtung des Bild- und Ausstattungsprogramms, die sich einerseits an mittelalterlichen Vorbildern orientierte, andererseits aber auch an aktuelle Debatten anknüpfte, die im 19. Jahrhundert geführt wurden. So war das Thema der klugen und törichten Jungfrauen in der nazarenischen Kunst bereits auf prominente wie umstrittene Weise durch Peter Cornelius und Wilhelm Schadow behandelt worden. Bemerkenswert ist überdies die ikonographische, räumliche und beleuchtungstechnische Einbeziehung des Radleuchters in die Thematik des Jüngsten Gerichts. In St. Godehard werfen diese Elemente die Frage auf, welchen Stellenwert Eschatologie im Denken des Historismus, welche konkreten Positionen sich mit dem Hildesheimer Bildprogramm verbinden und welche Akteure dabei maßgeblich waren. So soll der Vortrag einen Beitrag leisten, das in St. Godehard entfaltete Zusammenspiel der Künste in seiner gestalterischen Umsetzung und inhaltlichen Programmatik neu zu beleuchten und zu kontextualisieren.

Dr. habil. Christian Scholl, Kunsthistoriker, Dozent am Institut für Bildende Kunst und Kunstwissenschaft der Universität Hildesheim. Forschungsschwerpunkte: Kunst und Kunsttheorie zwischen Aufklärung und Moderne, Romantik und Romantikrezeption, Architektur des Mittelalters und der Neuzeit. Kontakt: scholl@uni-hildesheim.de