Tagungsbeitrag

Rüber-Schütte, Elisabeth; Stahl, Andreas:

Gedenkstätten in Sachsen-Anhalt aus der Zeit des Nationalsozialismus in der DDR - denkmalpflegerischer Umgang im Dualismus von Authentizität und Rezeption

Die institutionelle und ehrenamtliche Denkmalpflege hat in Sachsen-Anhalt eine über einhundertjährige Tradition, die personell und methodisch tief in der preußischen Denkmalpflege des 19. und 20. Jahrhunderts verwurzelt war. Die politischen Verwerfungen des geteilten Nachkriegsdeutschland und der DDR wirkten sich auch auf die institutionelle Denkmalpflege aus, wenngleich es vielen Protagonisten gelang, sich nischenhaft den politischen Intentionen des Staates zu entziehen. Das Ausmaß der Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges in Mitteldeutschland trivialisierte den seit Beginn des 20. Jahrhunderts gültigen Leitsatz der Denkmalpflege „Konservieren – nicht restaurieren“; die Wiederherstellung und Restaurierung der schwer beschädigten Denkmalsubstanz, vom Einzelobjekt bis zu städtebaulichen Ensembles wurde zur Hauptaufgabe. In Sachsen-Anhalt übernahm die Denkmalpflege unter W. Schubert, insbesondere an den großen Sakralbauten, Aufgaben der ehemaligen preußischen Staatshochbauämter - dies schuf auch politische Freiräume. Die föderale Denkmalpflege wurde 1952 formal zentralisiert, wobei mit den 5 Arbeitsstellen die alten Strukturen bestehen blieben. Restriktiv wirkten sich nach Aufhebung der Länder vor allem der ideologisch intendierte Städtebau und ebenso die Ressourcenzuteilung der sozialistischen Planwirtschaft aus.

Anfang der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts verschob sich das Schwergewicht der Arbeit der Denkmalpflege in Sachsen-Anhalt „vom Wiederaufbau auf die Instandsetzung, Erschließung und Nutzbarmachung der Denkmale für neue gesellschaftliche Zwecke“ (H. Berger zur Denkmalpflege in Sachsen-Anhalt, 1983).
Um internationale Anerkennung bemüht, verabschiedete man 1961 die Verordnung über Pflege und Schutz der Denkmale und 1975 das Gesetz zur Erhaltung der Denkmale in der DDR. Neben strukturellen Zuordnungen der Denkmalpflege auf DDR-, Bezirks- und Kreisebene wurde der Denkmalbegriff auf „Gedenkstätten der Geschichte der Arbeiterbewegung, des antifaschistischen Widerstandkampfes und des Aufbaus des Sozialismus“ ausgeweitet, dazu kulturpolitisch als eigenständige Denkmalkategorie aufgewertet sowie deren Erfassung und Betreuung in den einzelnen Arbeitsstellen auch personalisiert.
Das antifaschistische Postulat der SED prädestinierte geradezu die Gedenkstätten aus der Zeit des Nationalsozialismus zu didaktisch instrumentalisierten Erinnerungsorten. Weder damals noch heute thematisiert war sowohl die bauliche wie inhaltliche Authentizität dieser Erinnerungsstätten. Vielfach gingen die baulichen Zeugnisse bereits nach Kriegsende verloren, als man Häftlingslager, wie das KZ-Außenlager Langenstein-Zwieberge, abbaute und „wiederverwendete“; oder als man Einrichtungen funktional weiter nutzte, wie das Zuchthaus „Roter Ochse“ in Halle oder das Psychiatrische Krankenhaus in Bernburg. Inhaltlich war das Gedenken an sowjetische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter erst mit deren poststalinistischer Rehabilitierung in der DDR sakrosankt; auch wurde von Beginn an in der DDR die Erinnerung an nichtkommunistische Opfergruppen reduziert, verfälscht oder getilgt, wie z.B. beim KZ Lichtenburg - ebenso die Befreiung und erste Denkmalsetzungen durch die angloamerikanischen Truppen, wie bei der Feldscheune Isenschnibbe.

Die staatliche Denkmalpflege der DDR widersetzte sich nicht den massiven Eingriffen, denen die NS-Gedenkstätten in den 60er/70er Jahren ausgesetzt waren. Vornehmlich ideologisierende künstlerische Ausformungen prägten nun die Gedenkstätten, desgleichen wie die im sozialistischen Feierritus obligatorische Monumentalität für Massenkundgebungen. Die politisch intendierte Rezeption der DDR-Zeit überlagerte zunehmend die Authentizität der Gedenkstätten und mittlerweile dominieren diese baulichen und künstlerischen Zeugnisse die Erinnerungsorte. So verwunderte es nicht, dass sich die neuen Gedenkstättenverwaltungen nach der Wende inhaltlich, baulich und didaktisch mit unterschiedlicher Intensität zunächst dieser Zeitschicht widmeten. Aber auch die Denkmalpflege der neuen Länder stand vor demselben Problem. Als signifikante Zeugnisse dominierten die Denkmäler der Rezeptionsgeschichte die Erinnerungsorte, die zudem nach 1989 – verständlicherweise - manchen „Bildersturm“ ausgesetzt waren; authentische Hinterlassenschaften hingegen blieben kaum sichtbar. Umso mehr gewinnen noch heute landschafts- und städtebauliche Zusammenhänge, einschließlich Produktions- und Infrastrukturen, sowie bauarchäologische Artefakte an Bedeutung.


Dr. Elisabeth Rüber-Schütte, Studium der Kunstgeschichte, Christlichen Archäologie und Romanistik in Bonn, München und Wien; 1991 Promotion in Kunstgeschichte in Bonn; 1990-1992 wiss. Volontärin am Rheinischen Amt für Denkmalpflege, Brauweiler; 1992-1994 Projektreferentin bei der Deutschen Stiftung Denkmalschutz;
seit 1994 wiss. Mitarbeiterin am Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt; seit 2011 Abteilungsleiterin der Bau- und Kunstdenkmalpflege; seit Wintersemester 2000/2001 Lehrbeauftragte an der Hochschule für Bildende Künste Dresden, Studiengang Restaurierung

Andreas Stahl, Dipl.-Ing. Architekt (FH), seit 1991 wiss. Mitarbeiter im Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Sachgebiet Bauforschung, Referent im Referat Denkmaluntersuchung in der Abteilung Bau- und Kunstdenkmalpflege
- Veröffentlichungen und Vortragstätigkeit zu regional- und baugeschichtlichen Themen