Tagungsbeitrag

Schädler-Saub, Ursula:

"Grüne Rosen: Farbveränderung als Geschichtszeugnis oder Verfälschung künstlerischer Intentionen?"

Der einführende Beitrag ins Thema der chemisch und physikalisch bedingten Farbveränderungen in Mal- und Fassungsschichten von historischem Kunst- und Kulturgut stellt das Erkennen und Dokumentieren von Pigmentumwandlungen in den Mittelpunkt und damit auch die ethische Frage, wie wir mit dem veränderten Aussehen eines Kulturdenkmals umgehen. Dies wird mit Fallbeispielen aus verschiedenen Bereichen veranschaulicht.
Pigmentumwandlungen sind per se kein Schaden, aber sie können die ursprüngliche Farbwirkung einer Malerei oder Fassung grundlegend verändern und dadurch massiv in die künstlerische Aussage eingreifen. Das kann zu kunsthistorischen und denkmalpflegerischen Fehlinterpretationen führen, die sich nur in interdisziplinärer Zusammenarbeit insbesondere mit Restaurator*innen und Naturwissenschaftler*innen vermeiden lassen. Die Grundlage hierfür ist eine umfassende Untersuchung der historischen Mal- und Fasstechniken mit ihren Pigmenten und Bindemitteln, auch unter Berücksichtigung späterer Überarbeitungen und Restaurierungen.
Was wussten die ausführenden Künstler*innen über Pigmentumwandlungen sowie andere Materialveränderungen, z. B. von Metallauflagen, und wie sind sie damit umgegangen? Seit wann wird das Thema in Fachkreisen der Kunstgeschichte, Denkmalpflege und Restaurierung diskutiert? Ein kurzer Rückblick führt nicht nur zu den öfter praktizierten Übermalungen von verfärbten Bereichen, sondern auch zur Rückumwandlung von Bleiweißverschwärzungen in der Wandmalerei, die in Italien in den 1970er Jahren erstmals praktiziert und kontrovers debattiert wurde. Soll man tatsächlich alles tun, was technisch machbar ist? Die Restaurierungsgeschichte lehrt uns, dass Vorsicht geboten ist. Evaluationen von inzwischen 40-50 Jahre alten Rückumwandlungen, u. a. an Wandmalereien von Baldovinetti in Florenz, können die Grenzen dieses Verfahrens aufzeigen.
In den allermeisten Fällen ist eine Rückumwandlung gar nicht möglich oder wäre mit hohen Risiken verbunden. Im Allgemeinen belässt man daher Pigmentveränderungen als historisch entstanden und stabilisiert nur den überlieferten Zustand, einschließlich einer konservatorischen Verbesserung des Umfelds. Das gilt z. B. für das Vergrauen von Smalte oder das Verdunkeln von Chromgelb. Wir wissen, dass die heute eher grauen Himmel auf den Gemälden Tintorettos früher strahlend blau waren und dass van Goghs Sonnenblumen wohl zunehmend ihre Leuchtkraft einbüßen werden. Was sind wir den Betrachter*innen von derart veränderten Kunstwerken und Kulturdenkmalen schuldig? Mit maltechnischen Kopien und digitalen Visualisierungen des ursprünglichen Zustandes einer Malerei oder Fassung lässt sich eine Vorstellung der künstlerischen Intentionen vermitteln und gleichzeitig das Bewusstsein stärken für Veränderungen, die wir als Teil der Geschichte akzeptieren.

Prof. Dr. Dipl.-Rest. Ursula Schädler-Saub ist Restauratorin, Kunsthistorikerin und Denkmalpflegerin. Bis September 2021 war sie an der HAWK Professorin für das Fachgebiet „Geschichte und Theorie der Restaurierung, Kunstgeschichte“. Forschungsschwerpunkte: Geschichte, Theorie und Ethik der Restaurierung, mit einem Schwerpunkt auf Wandmalerei. Sie ist der HAWK weiterhin als Senior Researcher durch Forschungsprojekte verbunden. Kontakt: ursula.schaedler-saub@hawk.de